Im Internet gibt es endlos viele Artikel und Seiten die sich mit der Frage beschäftigen, ob der 1861 in Österreich gebohrene und 1925 gestorbene „Geisteswissenschaftler“ Rassist war. Sie kommen zu sehr unterschiedlichen Urteilen, gerade weil die Waldorf-Bewegung sehr groß und divers und daher schwer einzuordnen ist. Da auch wir auf dieser Seite einige seiner Ideen promoten, juckt es uns in den Fingern, uns auch dazu zu äußern.
Autor und Meinung: Helmut Wolman
Steiners genialste Einfälle
Aus der Wandel-Bewegung ist die Anthroposophie und Waldorfschule nicht mehr weg zu denken. Auch wenn kaum einer die Bücher-Berge Steiners wirklich durchgearbeitet hat, so sind doch einige große Impulse auf sein Weltbild und seine Ideen zurück zu führen:
- Demeter-Landwirtschaft: Eine emissionsfreie Kreislaufwirtschaft mit spirituellen Praktiken oft in Kombination solidarischen Landwirschaften.
- Waldorf-Pädagogik: Eine an der natürlichen Entwicklung eines Kindes orientierte Pädagogik, die in der Untertufe eine recht klare Führung vorsieht und damit auf eine hohe Selbstständigkeit zum Ende der Schulzeit hoft „Erziehung zur Freiheit“
- GLS-Bank/ Triodos-Bank: Ethische und erste transparente Banken die Geld als Gestaltungsmittel und nicht als Profitinstrument sehen.
- Weleda und Wala als Kosmetik und Arztneimittelhersteller für Homöopatische und Anthroposophische Medizin. Dazu einige Krankenhäuser wie die Filderklinik in Stuttgart.
- Camphill-Lebensgemeinschaften mit Menschen mit Behinderung: Ein Zusammenleben auf Augenhöhe mit Menschen aller möglichen Fähigkeiten und Besonderheiten, weltweit.
- Interkulturelle Freiwilligendienste: Die Waldorfbewegung war eine der ersten und heute das größte Netzwerk für Freiwilligendienste weltweit und größte Trägerorganisation des weltwärts-Prgramms des BMZ.
Von der Landwirtschaft über Unternehmensführung bis zur Pädagogik werden immer mehr Elemente dieser Jahrhunderte alten Ideen in das öffentliche Schulsystem übernommen (Projektorientiertes-Epochenlernen, Sprachen seit der ersten Klasse…) oder als wissenschaftlichen Standard anerkannt (bspw. die Wirkung von Architektur auf das Wohlbefinden, Lernen aus fehlern…).
Da aktuell das größte Problem neben dem Klimawandel die Überwindung des kapitalistisch-wachstumsorientierten Wirtschaftssystems ist, finden wir die Idee der sozialen Dreigliederung und das daraus resultierende Assoziative Wirtschaften (Grundlage der SoLaWis) sehr interessant und Diskussionswürdig.
zum GlossarSteiners größter Stuss
(…aus heutiger Sicht.)
Hier ein paar Steiner-Zitate, die heute schon alleine beim Lesen weh tun und von denen nicht nur wir uns klar distanzieren, sondern vermutlich alle Anthroposophen. Die Zitate stammen von 1923 aus den Vorträgen für die Arbeiter am Goetheanum: „Vom Leben des Menschen und der Erde. Über das Wesen des Christentums“, GA Bd. 349. Darin spricht Steiner über die Hautfarben und meint einen eindeutigen Zusammenhang zu Weltregionen und kulturellen charakteristischen Eigenschaften feststellen zu können. Ob Steiner mit den folgenden Zitaten eine Abwertung von Menschen anderer Hautfarben meinte, ist eher unwahrscheinlich. Für ihn haben die Worte „Rasse“ und „Neger“ vermutlich keine negative Kronnotation gehabt.
Die Zitate wurden von ZuhörerInnen festgehalten und von Steiner nie autorisiert, da er eine Verschriftlichung seiner Vorträge stets ablehnte.
- Die weiße Rasse ist die zukünftige, ist die am Geiste schaffende Rasse. (GA Bd. 349, S.52)
- „Die Negerrasse gehört nicht zu Europa, und es ist natürlich ein Unfug, dass sie jetzt in Europa eine so grosse Rolle spielt“ (GA Bd. 349, S.53).
- Der Neger hat ein starkes Triebleben, und weil er eigentlich das sonnige Licht und Wärme da an der Körperoberfläche in seiner Haut hat, geht sein ganzer Stoffwechsel so vor sich, wie wenn in seinem Innern von der Sonne selbst gekocht würde. Daher kommt das Triebleben. Im Neger wird da fortwährend richtig gekocht, und dasjenige, was dieses Feuer schürt, das ist das Hinterhirn. (GA Bd. 349, S.55)
- „… wir geben diese Negerromane den schwangeren Frauen zu lesen, da braucht gar nicht dafür gesorgt zu werden, daß Neger nach Europa kommen, damit Mulatten entstehen; da entsteht durch rein geistiges Lesen von Negerromanen eine ganze Anzahl von Kindern in Europa, die ganz grau sind, Mulattenhaare haben werden, die mulattenähnlich aussehen werden!“ (GA Bd. 348. S.186)
- Das Judentum als solches hat sich aber längst ausgelebt, hat keine Berechtigung innerhalb des modernen Völkerlebens, und dass es sich dennoch erhalten hat, ist ein Fehler der Weltgeschichte. … Wir meinen hier nicht die Formen der jüdischen Religion allein, wir meinen vorzüglich den Geist des Judentums, die jüdische Denkweise. … Juden, die sich in den abendländischen Kulturprozeß eingelebt haben, sollten doch am besten die Fehler einsehen, die ein aus dem grauen Altertum in die Neuzeit hereinverpflanztes und hier ganz unbrauchbares sittliches Ideal hat. Den Juden selbst muß ja zuallererst die Erkenntnis aufleuchten, daß alle ihre Sonderbestrebungen aufgesogen werden müssen durch den Geist der modernen Zeit.„ (1888 – Gesammelte Aufsätze zur Literatur: „ROBERT HAMERLING: «HOMUNKULUS». MODERNES EPOS IN 10 GESÄNGEN“. Deutsche Wochenschrift“ GA Bd. 32, S. 152. Steiner beschwert sich, dass etablierte Medien wie die „Neue Freie Presse“ ein Buch als antisemitisch eingestuft haben, obwohl, wie er findet, nur „neutral“ über das Judentum berichtet wurde.)
- Dasjenige aber, was man ganz objektiv in dieser Beziehung sagen muß, hat nichts zu tun mit irgendeiner Agitation. … Und so kann man sagen: Da alles dasjenige, was die Juden getan haben, jetzt in bewusster Weise von allen Menschen zum Beispiel getan werden könnte, so könnten die Juden eigentlich nichts besseres vollbringen, als aufgehen in der übrigen Menschheit, sich vermischen mit der übrigen Menschheit, so dass das Judentum als Volk einfach aufhören würde. Das ist dasjenige, was ein Ideal wäre. (8. Mai 1924 Vortrag für die Arbeiter am Goetheanum „Die Geschichte der Menschheit und die Weltanschauungen der Kulturvölker“ GA 353, S. 202)
Die Aktion „Kinder des Holocaust“ haben auf iher Webseite weitere Zitate dieser Art gesammelt.
Erst mal ja, das ist rassistisch. Der zweite Satz muss lauten: Das ist vor Auschwitz. Man hatte sozusagen die Dramatik der Folgen noch nicht vor Augen, und man muss sagen, man kann Steiner irgendwo verstehen. Er ist Evolutionsdenker, er ist der Meinung, alles, was es gibt, entwickelt sich evolutionär – der Mensch, der Kosmos, die Kultur. Und weil er ein konsequenter Denker ist, hat er vor den Rassen, die er als solche erfunden hat, die gibt es natürlich so nicht, aber hat er vor den Rassen keinen Halt gemacht.
Historiker Helmut Zander, Deutschlandfunk
Was man vielleicht wissen müsste
Menschen, die Steiners Werk umfassend studiert haben, betonen oft, dass für das Wort “ Wurzelrassen“ heute wohl eher „Kulturepochen“ verwendet worden wäre, nach einem ethnologischen Forschungsverständnis, wie es bspw. noch in der Afrikaforschung an der Uni Bayreuth angewandt wird. Im Englischen ist das Wort „race“ nicht (nur) mit Rasse, sondern insbesondere mit Lauf, Rennen oder eben „Epoche“ zu übersetzen.
Dazu schreibt der Anthroposoph Friedwart Husemann im Herbst 2019 in seinem Newsletter folgendes:
Die Rassismus Debatte über die Anthroposophie wurde 1992 durch Jutta von Ditfurth angefacht, indem sie das Wort „Wurzelrasse“ zitierte und meinte, damit R. Steiner als Rassist bezeichnen zu können. Matthias Dobrinski in seinem Leitartikel vom 5.9.2019 in der SZ bringt das Wort „Wurzelrasse“ in diesem Sinne gleich zweimal. Das Wort beschwört den „völkischen Hintergrund“, der im Zusammenhang mit Josef Beuys zum Stereotyp geworden ist. In Erinnerung an die Nazizeit weckt das Wort „Wurzelrasse“ unheimliche Gefühle. Das wissen Dobrinski und SchriftstellerInnen wie Jutta von Ditfurth natürlich ganz genau.
In Wirklichkeit meint der Begriff eine Epoche, er ist zeitlich gemeint. Im Sinne der Wiederverkörperung geht jede Individualität durch verschiedene Kreisläufe, Runden, Globen, Wurzelrassen und Unterrassen, um sich zu entwickeln. Später hat R. Steiner diese theosophischen Begriffe ins Deutsche übersetzt und als Kulturepochen oder Zeitalter bezeichnet. Mit theosophischen Worten gesagt gibt es sieben Wurzelrassen: 1. die polarische 2. die hyperboräische 3. die lemurische 4. die atlantische und 5. die nachatlantische, in der wir heute leben. Jeder Mensch lebt heute mit theosophischen Worten gesagt in der 5. Wurzelrasse. Es werden noch zwei weitere Wurzelrassen folgen. Das ist also das Unspektakulärste, was es überhaupt gibt. Es ist unmöglich, daraus den Vorwurf zu machen, dass damit irgendeine Mehrheit oder Minderheit von Menschen als höher- oder minderwertig betrachtet werden könnte. Also das, was man als „völkischen Hintergrund“ oder Rassismus im Sinne der Nazis hinter dem Begriff Wurzelrasse vermutet, fehlt vollständig. Das Wort Rasse in diesem Zusammenhang ist irreführend, deswegen hat R. Steiner diese und ähnliche Worte ja auch in zeitliche Begriffe verwandelt. Das Missverständnis rührt wahrscheinlich auch daher, dass die Theosophie im 19. Jahrhundert in der englischen Sprache entstand. Das Wort „race“ hat im Englischen weitere Bedeutungen wie „Rennen“ und „Lauf“, also eine zeitliche Mitbedeutung. Das Wort Rasse im Deutschen hat diese zeitliche Mitbedeutung nicht, sondern ist rein körperlich und physisch zu verstehen. In seinem Roman „Vril“ spricht Bulwer-Lytton von der Zukunft als „the coming race“, was im Deutschen mit dem Wort Rasse nicht ausgedrückt werden könnte.
Noch missverständlicher ist das Wort Unterrasse, weil man heute den Begriff „Untermensch“ der nationalsozialistischen Rassenlehre durchhören könnte. Aber auch das theosophische Wort Unterrasse ist zeitlich gemeint und durch die Wiederverkörperung ganz unabhängig von der Individualität des einzelnen Menschen. Es gibt 7 Unterrassen, nämlich: uralt indisch, uralt persisch, ägyptisch, griechisch-lateinisch und abendländisch (heute), zwei weitere Unterrassen werden folgen.
Also es ist schon eine ziemliche Dummheit, wenn man das Wort Wurzelrasse anführt, um R. Steiner Rassismus vorzuwerfen, eine Dummheit allerdings, die – um ein Lieblingswort von Helmut Zander zu benützen – vermutlich bewusst gepflegt wird, um die eigene Verleumdungsabsicht zu verhüllen.
Dass die Rassenlehre der Nazis der Anthroposophie widerspricht, geht schon daraus hervor, dass die Nazis die Anthroposophie mit dieser Begründung verboten haben. Rassismus und Nationalismus wurden von R. Steiner als antimichaelisch bezeichnet (GA 237, 28.7.1924). Am 26.10.1917 in GA 177 sagte R. Steiner im Zusammenhang mit den Geistern der Finsternis: „Wer heute von dem Ideal von Rassen und Nationen und Stammeszusammengehörigkeiten spricht, der spricht von Niedergangsimpulsen der Menschheit“. Karl Heyer hat ein Buch verfasst „Rudolf Steiner über den Nationalismus“ (erschienen 1949, wiederaufgelegt 1993 im Perseus Verlag, Basel), woraus hervorgeht, wie viele und welche Hierarchien von Widersacher- und Gegenmächten den Nationalismus benützen, um die Menschen herabzuziehen und zum Bösen zu veranlassen. All dies soll durch Anthroposophie erkannt, verstanden, verhindert und überwunden werden.
Steiners freie, revolutionäre Ideen warum im Dritten Reich streng verboten. Waldorfschulen gab es nur noch kurze Zeit im verborgenen. Schon damals war deutlich, dass von der Bewegung eher ein friedlicher Impuls hervorgeht.
Nach Ansicht des Physikers Andreas Heertsch, Vorstandsmitglied der Anthroposophischen Gesellschaft, kann die Anthroposophie gar nicht rassistisch oder antisemitisch sein: „Bei uns steht der Individualismus im Zentrum: Individuell zu werden ist das Ziel, völkische Gesichtspunkte spielen keine Rolle“. (Laut Aktion Kinder des Holocaust). Sprich: Es geht um den Einzelnen und seine inneren Potentiale. Kulturelle Prägungen sind erst mal genau so nebensächlich, wie Äußerlichkeiten.
Woher kommt die Kritik?
Es ist auffallend, dass linke Materialisten – also Menschen die kategorisch übersinnliche, spirituelle, religiöse oder geistige Kräfte ablehnen – besonders vehemente Kritik an Steiner üben. Oftmals liegt es vielleicht daran, weil sie Esoterik und Rassismus nicht klar voneinander trennen können. Auch stören sich viele Feministen und gendersensible Menschen (also die Mehrheit) an der Männerlastigkeit in Führungspositionen, wie man es sonst nur von konservativen Partein und katholischen Organisationen kennt.
Sicherlich ist ein guter Grund für die ressentiments im linken lager, Steiners polemische und direkte Kritik am Kommunismus. Aber auch den Katholizismus hatte Steiner zu lebzeiten immer wieder verunglimpft.
Auch wenn es da evtl. berechtigte Antipathien gibt, wollen wir uns hier rein auf die Rassismusfrage zwischen Menschen unterschiedlicher Abstammungen beschäftigten. (Schon die Beschreibung ist absurd).
Die Wortwahl seiner Zeit
Andere „Rassen“ waren vor 100 Jahren, bevor es das Fernsehen gab, etwas exotisches, ungewohntes und teils befremdliches. Steiners Publikum waren oft Arbeiter, nur grundlegend gebildete Menschen, das Setting seiner Reden waren vielfach Arbeiterräte, Kneipen, Demos. Das kann keinesfalls als Ausrede dienen, aber verleiten diese Situationen nicht leicht zu falschen Vereinfachungen und derber Aussprache? Hatte er die Hoffnung, mit ein wenig Populismus mehr Menschen für eine gute Sache zu begeistern und die Zuversicht, sie würden das mit der Zeit noch richtig einordnen können?
Steiner muss schon damals die Gefahr von Nationalismus und Antisemitismus klar gewesen sein, in anderen Situationen hat er darauf auch Bezug genommen und davor gewarnt. Auch die Gründung der Anthroposophischen Gesellschaft und damit Abspaltung von der Theosophischen Gesellschaft soll zum Teil auf deren nationaltreue Haltung zurück zu führen sein.
Nicht nur zum Lebensende warnte Steiner offen und vehement vor dem Nationalsozialismus, vor Faschismus, Rassismus und Antisemintismus. Daher ist es nur konsequent, dass ich alle Anthroposopischen Einrichtungen jetzt auch von diesen Gedanken distanzieren und dies auch historisch aufarbeiten.
Die Anthroposophische Gesellschaft hat dies zuletzt im Bezug auf die Corona-Proteste wieder getan: https://dasgoetheanum.com/offener-leserbrief-peter-selg/
Fazit
Ziel des ganzen Artikels soll nicht sein, Steiners Ansichten und Erkenntnisse zu rechtfertigen, zu beweisen oder zu glauben, sondern Sachlichkeit in die Debatte zu bringen. Die Waldorfschulen haben sich in der Stuttgarter Erklärung bereits von rassistischen Interpretationen distanziert und aus unserer Erfahrung dominieren dort besonders konservative und sonst eher linke, liberale und weltoffene Weltbilder. Es gibt nicht nur eine breite Antirassistische, Antifaschistische und Weltoffene Basis in anthroposophischen Kreisen sondern selbst einzelne rechte Tendenzen oder Vereinnahmungsversuche Identitärer oder rechter Kreise werden konsequent aufgearbeitet. Wir haben von keinem Fall gehört, wo irgendeine Entscheidung auf Grundlage der oben genannten Zitate getroffen wurde, geschweige denn dass ähnliche Aussagen wie oben zitiert wurden.
Auch im Team der Ideenwerkstatt gibt es unterschiedliche Ansichten dazu, wichtig ist uns jedenfalls zu betonen, dass jeder Mensch seine Auffassungen leben darf, solange sie keinem schaden, und da ist ein esoterische Lebenshaltung genauso berechtigt wie ein materialistische.
Mit den notwendigen geschichtlichen Hintergründen ist für uns jedoch eindeutig klar, dass Steiner kein Rassist sein wollte, der irgendeiner Ablehnung oder gar Gewalt gegen andersdenkende toleriert hätte, und einer heutigen Interpretation vieler seine Aussagen widersprochen hätte. Dennoch bestreiten wir damit nicht die vereinzelte Existens von „verSteinerten Ideologen“ im Umkreis der Anthroposophie, und wünschen allen viel Erfolg beim kritischen, zeitgemäßen Denken!
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